Mittwoch, 25. November 2009

11/24/09 Nachtleben, Ffm // Tourauftakt

Dienstag 24. November 2009. Der Wecker klingelt, es ist acht Uhr in der Frühe. Zu früh. Der Schlaf liegt noch schwer auf den Augen, obwohl ich es geschafft habe, (seit langer Zeit zum ersten mal) vor zwölf Uyhr schlafen zu gehen. Denn ich habe im Zimmer meines Bruders in Darmstadt übernachtet und ließ den Fernseher als unterstützendes Sedativum laufen. Das ZDF zeigte den Montagsfilm. Wie jeden Montag, nehme ich an. Bruce Willis spielt einen Kinderpsychiater in dem M. Night Shyamalan Film "The Sixth Sense". Einer dieser Filmtitel, für die es keine deutsche Übersetzung gibt und die dann auch echt beschissen klingen, wenn man sie in einem deutschen Satz einbaut: "Ey, sag mal, hast du schon "The Sixth Sense" gethehen?"... Naja, jedenfalls war dieser Film besser als Baldriantropfen, sogar besser als Morphium.

Sofort bin ich eingeschlafen und habe von einem Mädchen geträumt, in das ich mal schwer verliebt war: Ich sitze in einem gemütlichen Programmkino mit roten Samtsesseln und lege die Füße auf die Kopflehne der Sitzreihe vor mir und schaufele Honig-Popcorn in mich rein. Ich esse niemals Popcorn und wenn doch, dann lieber das mit Salz. Viel Salz. Sowie Lakritz. Das muss genauso salzig sein, dass es dir den Mund zusammenzieht und du glaubst, dass du gerade auf einem Aceton-Lappen kaust. Ich liege also zwischen diesen roten Empire-Sesseln und es ist so warm, wie im Hochsommer auf dem Dachboden. Ich schaue mir einen schwarz-weiß Film an. Sieht aus wie Nouvelle Vague, Godard oder Truffaut oder ein amerikanischer Independent Film, wie Stranger than Paradise oder irgendein Cassavettes Streifen. Die sich häufenden Kontraste zwischen kontroversen Dialogen und langatmigen Schweigeminuten deuten das nahende Ende an.

Plötzlich kommt eine Clique junger Mädchen an mir vorbeigerauscht. Begleitet von unterdücktem Kichern und Glucksen. Position rechts-außen: Mein Sweetheart. Sie setzt sich zwei Reihen vor mir hin, so dass ich sie noch sehen kann. Sie blickt sich um und sieht mich, scheint mich aber nicht wiederzuerkennen. Ich denke sofort an den Haitianer aus der Tim Kring Serie "Heroes". Er kann die Erinnerungen von Menschen auslöschen. Ja, wahrscheinlich hat er sie getroffen. Ja, wahrscheinlich hat sie ihn aufgesucht. Ja, wahrscheinlich habe ich ihr das befohlen und bin danach ebenfalls zum Haitianer, um diese Erinnerung loszuwerden. Dass sie mich nicht erkennt, erkennen will macht mich traurig.

Obwohl mir der Film gefällt, glaube ich (das weiß man bei Independent Filmen nie so genau), verlasse ich den barocken Raum, um mich auf der Toilette ordentlich zu übergeben. Ich beuge mich über die desinfiziert riechende Schüssel und es will nicht raus. Es macht mich rasend, jedoch sind meine Bewegungen wie in Zeitlupe, wie in Treibsand, wie auf Morphium oder Ritalin. Ich schiebe die Hand in den Mund und kitzele an meinem Gaumen, ich knete mein Zäpfchen – nichts passiert. Ich schließe den Deckel setze mich und stemme den Kopf in die Hände da fallen mir die Photos ein. Ich durchkrame meinen Geldbeutel und schüttele sämtliche Photos heraus. Sie fallen alle auf den Boden und schichten sich wild übereinander. Tausende. Mehr als jemals in ein Portemonnaie passen würden. Abertausende. Und nur der Schritt. Mit Slip. Gespreizter Arsch, ein Schlitz unter der violetten Spitze, Hüftknochen, Bauchnabel, Arsch von der Seite, von der anderen Seite – aber kein Gesicht. Keine Lippen, keine Augen, nicht einmal Hände. Der Ekel überwiegt die Geilheit. Vielleicht war das Mädchen im Kino nicht meine Herzensdame. Ich wühle, langsamer als ich will, weil ich nur langsam kann in dem Haufen und finde tatsächlich ein Photo von einem Gesicht und ich erinnere mich. Sie ist es. Ja, sie ist es. Das Mädchen im Kino, das Mädchen auf dem Photo. Sie ist es. Und was ist mit den Hüftknochen und den Arschritzen? Egal, wenn sie das ist, nice, why not?

Ich haste zurück ins Kino. Der Film ist vorbei und der Saal ist hell erleuchtet. Eine Frau in einem hellblauen Kittel saugt die Honig-Popcornreste von meinem Sitzplatz in einen quietschgelben Behälter. Ein alter dünner Mann mit Zylinder, der Vollstrecker aus "Donnerlipchen", zieht einen Vorhang vor die Leinwand. Die drei Mädchen sitzen aber immer noch auf ihrem Platz und giggeln, turteln und glucksen. Sie halten sich kichernd ihre Hände vor den Mund und, werfen gemeinsam, wie auf Kommando, den Kopf in den Nacken und staunen sich gegenseitig an: "Nee, oder? Nicht wirklich?". Als ich das sehe bin ich so erstaunt, dass ich einen mundvoll Honig-Popcorn auf den roten Teppich huste. Mein Traum-Mädchen sieht sich um und ihre Augen saugen mich ein, wie der Staubsuager das Popcorn. Ich wache auf...

Dann wird mir klar: Nicht nur Träume sind strange. Auch das echte Leben hält immer wieder Überraschungen bereit. Ich kann es kaum glauben. Aber es ist wahr. Heute ist der erste Tag unserer ersten NUKULAR-Tour. Quer durch Deutschland supporten wir Terry Hoax und haben die Ehre, den ersten Akkord im Nachleben im fast schon heimatlichen Frankfurt am Main anzuschlagen. Dann geht eigentlich alles ziemlich schnell: Ich fahre nach Mainz, wir laden den Bus ein und fahren zusammen nach Frankfurt. Im Management Büro holen wir unseren frisch eingetroffenen Banner ab und rollen ihn im Nachtleben auf dem Fußboden aus. Wow. Sieht super aus. Dann warten wir einige Stunden auf Terry Hoax und sind kurz vor acht mit dem Soundcheck dran. Wir sind ziemlich froh und stolz und gerührt, dass alles so passiert, wie es passiert. Wir spielen uns die Seele aus dem Leib, sind aber ziemlich froh, dass sie in den Stunden nach dem Konzert wieder in uns zurückkehrt und hoffen, dass es so weitergeht. An dieser Stelle möchte ich im Namen von NUKULAR nochmals allen danken, die es möglich gemacht haben, das wir nun hier sind. Allen voran Marc! Vielen Dank! Nach dem Gig gehen wir gemeinsam zum Thailänder und ich bekomme natürlich das falsche Gericht, wie immer beim Asiaten. Aber das fällt mir erst auf, als wir schon längst wieder zuhause sind...






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